Der Brand zu Rengen von 1835

von Alois Mayer, Daun

 

Es war an einem Sonntag und zwar am 7. Juni 1835. Es war der Pfingstsonntag, ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien warm hinab auf Rengen. Sie sah ein kleines, ärmliches, aber fleißiges Dorf am Ufer der Lieser. 87 Einwohner lebten dort in 32 Wohnhäusern. Bei mildem, warmem Morgensonnenschein waren die Rengener früh und guter Dinge nach Daun zum Hochamt gegangen. Das Dorf war im Feiertagsfrieden zurückgeblieben. Ein leichter Ostwind spielte in den Kronen von einigen mit bunten Bändern geschmückten Pfingstbäumen, die verliebte Jungen auf die Giebel und Strohdächer der Hauser ihrer Angebeteten aufgerichtet hatten. Nicht eine Menschenseele war auf der Straße. Einige alte Leute, die wegen ihres Alters den weiten Weg zur Dauner Nikolauskirche nicht mehr gehen konnten, saßen in ihren Stuben, beteten den Rosenkranz und achteten auf die kleinen Kinder. Aber aus einigen Häusern duftete es schon ganz lecker, denn etliche Frauen, die bereits sehr zeitig die Frühmesse ın Daun besucht hatten, bereiteten das Mittagessen vor. Zur Feier des Pfingstfestes sollte es heute eine kräftige Suppe aus gepökeltem Fleisch geben. dazu Kartoffeln, von denen man genug hatte, und Sauerkraut. Das war da unten im kühlen Keller in den großen rotbraunen Tonbottichen recht gut geraten. Und Leuschens, Brandens und Schneiders hatte es sich nehmen lassen, für das hochheilige Fest sogar ein Huhn zu köpfen. Nicht gerade viel für die vielköpfigen Familien, aber allemal besser als jeden Tag nur Mus und Hafersuppe.

 

Mechel, holl Heleff!

 

Ja. es war Pfingstsonntag, der 7. Juni 1835. Der alte Häpen und einige junge Burschen waren in der Frühmesse gewesen und hatten dann das Vieh auf die Weide hinter Inglen getrieben. Hier lagen sie nun in der Heide und rauchten ihre irdenen Pfeifen, erzahlten sich vom täglichen Geschehen und schauten in den klaren, wolkenlosen Himmel. Kurz nach zehn Uhr, als in Daun gerade das Pfingsthochamt begonnen hatte, stieg über dem Mühlenbüsch plötzlich eine dichte Rauchwolke hoch. „Man sollte meinen, die Mühle sei am Brennen ", sagte der alte Häpen.

 „Ach“, scherzten die Burschen, „Anna von der Mühle hat sicherlich zu viel Wacholderhecken ins Feuer getan." Trotzdem gingen sie gemessenen Schrittes die Vorwiese um die Waldecke, wo man aufs Dorf schauen konnte. Entsetzen lähmte ihre Schritte, als sie die wahre Ursache der Rauchwolke erkannten. Und dann riss der Schreckensruf des alten Häpen sie aus der Erstarrung: „Dat Dorf brennt! Mechel holl Heleff!"

 

Gott steh den Rengenern bei!

 

Der junge Mechel drehte sich um und rannte so schnell er kannte nach Daun. Über eine halbe Stunde brauchte er, bis er die Kirchentiir aufriss und mitten in den feierlichen Gottesdıenst hinein schrie: „Feuer, Feuer, Rengen brennt!" Jäh verstummten Orgelspiel und Gebet. Die Männer unter dem Turm und die von der Rengener Seite stürzten hinaus. Durcheinander entstand im Inneren des Gotteshauses, jeder drängte nach außen. Auch der greise und hoch angesehene Pastor Georg Karl Querings, der aus Schönbach stammte und nun bereits genau zwanzig Jahre in Daun seinen Dienst tat, eilte ebenfalls mit nach draußen Nun standen alle auf dem alten Kirchhof rund um die Pfarrkirche, und alle sahen über dem Hunert große, gewaltige Rauchwolken und sprühende Funken in den Himmel steigen. Draußen stehend spendete Pastor Querings allen den Schlusssegen und rief: „Gott steh euch bei! Helft den Rengenern so gut ihr könnt!“

 

Funken, Qualm und Feuerglut

 

In Schäwesch Scheuer hatte das Feuer seinen Ausgang genommen. Auf den ausgetrockneten Strohdächern verursachte jeder Funke sofort einen neuen Brandherd. Die Fachwerkwände, mit Holzgeflecht und Lehm ausgefüllt, boten dem entfesselten Element die rechte Nahrung zu rascher und völliger Zerstörung. lm Nu schlugen die Flammen von Haus zu Haus über, von dem leichten, aber stetigen Ostwind angetrieben. Die wenigen Leute, die Dorf geblieben waren, hatten kaum Zeit, die Häuser zu verlassen; es waren ja nur Greise, Frauen und Kinder, Verstört und hilflos rannten sie auf die Straße, jammerten und schrieen um Hilfe. Einigen beherzten Frauen gelang es noch, Vieh aus den Ställen zu treiben oder das eine oder andere Stück Hausrat vor die Türe zu schleppen. Das Feuer hatte bereits weit über eine Stunde gewütet, als die ersten Männer völlig erschöpft und außer Atem von Daun aus den Kirchberg herauf gerannt kamen. Da waren die Hauser rechts der Straße, von Branden Pütz bis Mathes Ollen bereits zusammengesunken. Und links von der Straße von Peilches bis Flor stand alles in lichterlohen Flammen. Die brennenden Strohdächer begannen bereits einzustürzen.

 

Himmelhoch stieg jedes Mal ein Funkenmeer, wenn das brennende Stroh und die leichten Dachlatten herab fıelen, die Häuser wie einen glühenden Wall umgaben und sofort das Fachwerk, die Türen, Treppen und Fensterrahmen anzündeten. Die Häuser von Scholzen bis Häpen lagen rechts der Straße gegen die Windrichtung. Trotzdem hatte ein Wirbelwind Flugasche, brennendes Stroh und Funken hinübergeweht. An vielen Stellen zugleich loderten auch dort plötzlich die Strohdächer auf.

 

Tränen, Trauer, Tote

 

Mit Wiesbäumen rannten die Männer die Wände ein, um die Gebäude zum Einsturz zu bringen und ein weiteres und hohes Aufflammen zu verhindern. Von der Lieser, Hasbach und Baubach aus wurden Ketten gebildet. Ledereimer mit Löschwasser flogen von Hand z Hand, doch jede Mühe war vergebens. Die Mittagssonne schien bereits auf rauchende Trümmer, sah, wie gramvolle Männer und unglückliche Frauen obdachlos, mutlos, aller Habe beraubt auf den mit qualmenden Überresten übersäten Höfen standen.

 

Die Familien fanden sich zusammen. Stets kam Freude in allem Leid auf, wenn man feststellte, dass kein Familienangehöriger fehlte. Aber dennoch hatte es Tote gegeben. Unter der Asche und den Brandresten des Strohdaches ihres Hauses, das neben dem Schäwisch Haus stand, wo das Feuer seinen Anfang genommen hatte, fand man die 74-jährige Anna Göden. Sie war die Tochter von Johann Bernhard Diewald hier aus Rengen, der dann aber später nach Darscheid zog und dort die Maria Gertrud Hermes heiratete. Dort wurde Anna auch geboren. Später heiratete sie den Johann Göden aus Darscheid. Aber Ihre älteste Tochter, die Anna Margarethe, hatte den Rengener Nikolaus Blasius Hunz geheiratet und war in dessen Haus gezogen. Und als nun Anna Göden 1827 Witwe geworden war, zog sie von Darscheid fort nach Rengen zu ihrer Tochter. Anna Göden war fast 75 Jahre alt und eine altersschwache Frau. Sie konnte sich nicht mehr aus ihrem brennenden Haus retten. Verzweifelt suchte die Tochter sie, rief ihren Namen. Und schließlich fand sie sie. Aber sie war nicht mehr zu erkennen.

 

Nur mehr Knochenreste von ihr wurden auf einer verkohlten Truhe entdeckt. Wahrscheinlich hatte sie versucht, diese aus dem Haus zu zerren, als das herabstürzende Dach sie unter der Glut begrub. Auch der 77-jährige Peter Schneider, dessen Sohn Thomas Blasius während den napoleonischen Kriegen gefallen war, konnte nur mehr als Leiche geborgen werden. Er war wegen der Gicht gelähmt und saß nur mehr in seinem Sorgenstuhl in der guten Stube. Niemand war da, der ihn aus dem brennenden Haus getragen hätte. So versuchte er hinaus zu kriechen. Doch herabstürzendes Gebälk verbrannte ihm beide Beine bis zum Leibe.

 

Feuerteufel Gitzen

 

Das schmucke Dorf Rengen – in wenigen Stunden war es vernichtet. 26 Wohnhäuser, Stallungen und Scheunen. Nur fünf Wohnhäuser, der Kroh-Ollen, die alte baufällige Schule und die Kirche waren verschont geblieben. Glück im Unglück: Es verbrannte kein Großvieh, denn das befand sich alle auf den Weiden. Aber eine Vielzahl an sonstigem Vieh, wie Hühner und Schweine, hatte die Feuersbrunst nicht überlebt.

 

Die Ursache des Brandes ist nie einwandfrei geklärt worden. Alle wollten wohl wissen, dass der von Weidenbach nach Rengen verzogene Johann Gitzen der Brandstifter gewesen sein soll, aber keiner traute sich, ihn offen der Tat zu bezichtigen. De streitsüchtige Mensch, der mehr als einmal in Jähzorn oder betrunkenem Zustand seine Frau und Kinder verprügelt hatte, bedrohte die Dorfbewohner ständig oder zog mit ihnen prozessierend vors Gericht. Mehrmals war er bereits zu Gefängnisstrafen verurteil worden. 1852 soll er auch im Gefängnis gestorben sein. Aus dieser Familie gibt es in Rengen keinerlei Nachfolger. Die Feuersbrunst hatte große Not über die Bewohner von Rengen gebracht. Öffentliche Hilfe und Versicherungen gab es noch nicht. Es bedurfte vieler Arbeit und nachbarschaftlicher Hilfen, das Dorf wieder aufzubauen, so wie es in seinem Altbestand heute noch zu erkennen ist. Spenden wurden kreisweit gesammelt, um Mobiliar und Ackergeräte anzuschaffen, Futter zu besorgen, damit Rengen über den kommenden Winter kommen konnte.